Nachruf auf Tina Turner: Die Meisterin der Wiederauferstehung - WELT (2024)

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Kann eine imperfekte Stimme schön sein? Klar, man musste sich nur Tina Turner anhören. Da war immer diese Rauheit bis zum Schrei. Sie konnte aber auch wie ein gequältes Tier klingen. Ein kreatürlicher Laut, den sie mit höchster Kunstfertigkeit, Souveränität, Fantasie und Energie in bannende, unverwechselbar individuelle Töne zu verwandeln wusste.

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Dann wieder war diese aggressive, gleichzeitig in sich ruhende Turner-Röhre, grell und vibratosatt, zu ungemein vielen Stimmungsnuancen zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt fähig, crazy happy und f*cked up – oder wie sie es sang und sagte: „River Deep – Mountain High“.

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Und es war natürlich die Geschichte einer schwarzen Frau, die von ihrem Entdecker, Ehemann und vorgeblichen Besitzer Ike Turner in den hart und schnell gelebten 70ern fast kaputt geschlagen und mit Drogen angefixt worden war. Die zuweilen ganz am Boden war und trotzdem Mitte der 80er-Jahre als über Vierzigjährige ein strahlend selbstbewusstes Comeback hinlegte. Und die damit so manche jüngere Popsirene erblassen ließ und es den Machern und Mackern zeigte.

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Die den Kopf hob, sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte, auf ihren High Heels straight voranging und klarstellte, dass ein unprivilegiertes Mädchen aus einer Baumwollpflücker-Familie aus Nutbush City – auch diesem Kaff in Tennessee setzte sie ein Hit-Denkmal – es schaffen kann. Sogar zweimal.

Wiederauferstehungs-Phönixwunder aus der Asche

Und deren spätere Karriere noch viel größer, toller, schillernder, beneidenswerter wurde, als sie – mit einem fantastischen, eigenwilligen Look ganz in Schwarz und grandios auf sie zurecht geschneiderten, oft mit einer zweiten Ebene versehenen Songs – klassisch und zeitlos wurde. Die so präsent war, dass man, obgleich sie zuletzt nicht mehr auftrat, krank war, sich erstaunt fragte, ob Turner, die nun gestorben ist, wirklich bereits 83 Jahre alt war.

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Die Tina Turner der 80er und 90er-Jahre, dieses selbstbewusste Wiederauferstehungs-Phönixwunder aus der Asche einer lange schon entschwundenen Karriere, das war natürlich immer auch diese einstige glitzernde Diva an der Seite des geschmeidigen Ike, die sich neu verpuppt hatte und jetzt als minimalistischer Nachtfalter vokalen Purpurstaub verteilte. Ein vokales wie soziales Phänomen.

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„The Best“, „What‘s Love Got to Do with It“, „We Don‘t Need Another Hero“, „Private Dancer“, das sind längst schmiegsam-klassische Songs und zugleich Bekenntnisse: Diese Tina Turner konnte nach den wilden Rock-Jahren mit ihren Fans würdig altern und sich deren Kinder als Anhänger angeln.

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Sie sang für James Bond 1995 ikonisch „Golden Eye“ und brachte im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro mehr als 180.000 Zuschauern live zur Raserei. Eine Große, Ewige, Alterlose, Würdevolle, bis zum letzten regulären Album „Twenty Four Seven“ (1999) und ihrer selbst gewählten Abschiedstour ab 2009. Da war sie 69 Jahre alt und hatte 180 Millionen Platten verkauft.

Tina, die Göttliche

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Tina, die Göttliche, wurde da ein weiteres und letztes Mal als globales Idol gefeiert, trotz all der Geschichten von Blut und Tränen. Dabei war diese wunde, starke Frau bereits mit 45 Jahren ihr eigenes, freilich höchst lebendiges Denkmal geworden. Das Spaß daran hatte, als kleiner Schauspieler-Seitensprung vom Rockstar-Weg im Endzeit-Spektakel „Mad Max III – Unter der Donnerkuppel“ neben Mel Gibson als verbrecherische Aunty Entity im Fetzenkostüm düster mit den Augen zu rollen.

Parallel wurde diese Tina Turner, 1992 erschien der biografische Film „Tina – What’s Love Got to Do with It?“ sowie als Album der entsprechende Soundtrack, eine endlich glückliche Ehefrau. Turner führte mit dem Kölner Musikmanager Erwin Bach ein wunderbar spießiges Bürgerleben bei Zürich in der Schweiz, sie konnte es nicht oft genug genießerisch betonen. Erst 2013 heirateten sie. Er spendete ihr eine Niere, war für sie da, als sie Krebs bekam, ihre zwei leiblichen Söhne starben, sie sanft ihren Lebensabend ausklingen ließ.

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Da hatte jemandem dem hammerharten Rockstar-Dasein, den Verformungen und Verführungen getrotzt, war kaputtgegangen und wieder geheilt worden. Hatte geradezu Kraft gesogen aus den Verletzungen, die ihr zugefügt worden waren und über die sie nun offensiv sprach, ohne dabei je als Opfer dazustehen. Sie nahm nämlich ihr Leben in die Hand, erfand sich neu, im scharfen Lederrock, anders, aber authentisch. Bei Auftritten spürte man ihre Aura, selbst aus hunderten von Metern Entfernung vom Bildschirm im Stadion. Das war ehrliche, aufrichtige Singarbeit, Dienst am Fan, aber auch die Ekstase des Noch-Daseins als Rock-Stehauffrau. War ihr Schweiß auch digital, man glaubte ihn feucht zu fühlen.

Geboren 1939 als Anna Mae Bullock

Tina Turner wurde am 26. November 1939 als Anna Mae Bullock geboren. Im amerikanischen Süden der Rassentrennung war sie nur im Chor ihrer baptistischen Kirche wirklich glücklich. 1958 wurde sie Backgroundsängerin für Ike Turner und seine Band Kings of Rhythm. 1960 sprang sie als Leadsängerin ein und nahm „A Fool in Love“ auf. Plötzlich stand sie auf Platz 27 der US-Charts.

Ike nannte Anna Mae Tina und als die beiden 1962 heirateten, ging es von einem Gig zum nächsten. Der durchgeknallte Phil Spector produzierte sie, machte den Act in Europa bekannt. Ihr selbst geschriebener Signature Song „Nutbush City Limits“ erreichte 1973 Platz zwei der deutschen Singlecharts und hielt sich 26 Wochen.

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1976 verließ Tina Turner ihren gewalttätigen Mann. 1978 war sie endlich geschieden, aber pleite, mit einem Haufen Steuerschulden. Egal, ob Disco oder Soul, die Solostimme Tina Turner wollte zunächst niemand hören. Sie tingelte sich durch.

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Doch ihr neuer Manager Roger Davies blieb hartnäckig, machte sie durch Gastauftritte mit Tom Jones, Rod Stewart, David Bowie und im Vorprogramm der Rolling Stones wieder sichtbar. Für die Plattenfirmen blieb sie trotzdem ein abgewirtschafteter Altstar.

Bis Tina Turner für Capitol Records eine Coverversion des Al Green-Songs „Let’s Stay Together“ einspielte, die 1983 in Europa ein Hit wurde. Die Folge war 1984 das Album „Private Dancer“. Der Rest ist Rockgeschichte, manifestiert im Folgealbum von 1986, das den prophetischen Titel „Break Every Rule“ trägt. Es folgte die Autobiografie „Ich, Tina – Mein Leben“ – und der neue Star stand wieder auf festen Füßen.

Tina Turner blieb ein Star, aufrecht gehend, als bekennende Buddhistin, bis zum Schluss. Im Frühjahr 2018 wurde Turner – mittlerweile längst in Rente – durch „Tina – The Tina Turner Musical“ im Londoner Aldwych Theatre neuerlich lebendig. Im März 2019 war im Hamburger Operettenhaus Deutschlandpremiere. Da war sie also schon unsterblich, als Idol entrückt.

Am 24. Mai ist die echte Tina Turner nach langer Krankheit in ihrem Château Algonquin bei Küsnacht gestorben. Doch die Stimme, simply the best, sie röhrt weiter: „River Deep – Mountain High“.

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